Zukünftige gesellschaftliche und wissenschaftliche Herausforderungen für die Theologie

Als begeisterte Unterstützerin der Mission der Theologischen Kurse wäre ich heute Abend gerne dabei gewesen. Dies ist aufgrund einer Hüft-Operation nicht möglich. Ich erhalte Ersatzteile und werde veredelt. Ich möchte Ihnen aber auf diesem Weg dennoch einige Gedanken über die zukünftigen Herausforderungen für die Theologie zukommen lassen – Herausforderungen, die gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Art sind.

Zunächst einmal die gesellschaftlichen: Theologisches Denken wird in einer durch und durch säkularen Umgebung immer öfter zu einem Fremdkörper. Erstaunt stellen unsere Zeitgenoss:innen fest: "Es gibt hier tatsächlich noch Menschen, die an den glauben, den man traditionell Gott nennt?" Gottesrede wird fremd, der Glaube an Jesus Christus ebenso. Fromme Floskeln können dieser Situation nicht abhelfen, im Gegenteil. Sie verstärken das Problem sogar. Stattdessen gilt es, neue Wege zu finden, Gott zur Sprache zu bringen – im Bewusstsein dessen, dass die christliche Tradition immer eine ganze Fülle von Gottesrede gekannt hat, die keineswegs immer nur personaler Art war. Ich denke beispielsweise an die vielen Gottesbezeichnungen der Mystiker und Mystikerinnen, die mit ihren steilen Metaphern und ihren manchmal rätselhaften Paradoxa das Risiko eingingen, an die Grenzen menschlicher Erfahrung und menschlicher Sprache zu gehen und damit auch zu ihrer jeweiligen Zeit immer wieder Anstoß erregten. Ich denke an ästhetische Formen der Gottessehnsucht in Musik und Kunst, welche nicht andauernd mit Gott ins Haus fallen, dennoch aber das Herz immer wieder berühren und abseits aller Konventionen die Frage nach dem letzten tragenden Grund unseres Daseins wachhalten.

Als theologische Ethikerin helfe ich gerade dabei, das Skriptum Moraltheologie einer gründlichen Überarbeitung zu unterziehen. Dabei wird mir sehr deutlich, wie groß die Versuchung manchmal ist, einer religiösen Sondermoral das Wort zu reden, die ethische Argumente dazu benutzt, um Identitäts- und Ausgrenzungspolitik zu betreiben. Die religiöse Rechte gewinnt in letzter Zeit immer stärker an Bedeutung. Sie moralisiert den christlichen Glauben und lässt die frohe Botschaft unter der Hand zu einer Ansammlung von Verboten werden, die gegenüber einer vermeintlich bösen Welt den "katholischen Standpunkt" festzementieren. Wissenschaftlich ist dies eine echte Katastrophe, denn es führt dazu, dass human oder sozialwissenschaftliche Entwicklungen in der theologischen Ethik nicht mehr rezipiert werden. Ich spreche beispielsweise von den selbstauferlegten Denkverboten zu Themenbereichen wie Gender und Feminismus, die von einem immer deutlicher werdenden binnenkirchlichen Widerstand gegenüber Demokratie und Menschenrechten zeugen. Gegenüber leider wieder aufflammenden Ideen eines christlichen Ständestaats, der die böse Welt die wahre christliche Moral lehren muss und immer stärker Anklang findet, gilt es sehr wachsam zu sein. Die neue religiöse Rechte instrumentalisiert urchristliche Anliegen wie den Lebensschutz in mittlerweile besorgniserregendem Ausmaß. Ich möchte vor solchen Tendenzen ausdrücklich öffentlich warnen.

Eine große gesellschaftliche Herausforderung wird auf anthropologischer Ebene bestehen, nämlich die befreiende christliche Rede über den Menschen in den großen ethischen Fragen unserer Zeit neu zu entdecken und sie in der Praxis wirksam werden zu lassen: Christ:innen verdanken sich nicht selbst. Sie müssen sich nicht andauernd optimieren, um sich selbst rechtfertigen zu können. Sie dürfen Angst haben und sie müssen ihre Verletzlichkeit und ihr Leiden weder überspielen noch verherrlichen. Eine solche Anthropologie schenkt große Gelassenheit und Freiheit. Auf Basis dieser Freiheit einer verdankten Existenz ist es in meinen Augen die Aufgabe aller Christ:innen – ob sie nun wissenschaftlich Theologie treiben oder nicht – Menschen auf ihren Lebenswegen zu begleiten, und zwar ohne jede "hidden agenda" und Missionsabsichten. Es gibt unendlich viel Gutes und unendlich viel Liebe in dieser Welt. Beides gilt es in aller Freiheit sichtbar zu machen und gemeinsam mit anderen zu suchen und zu praktizieren. Es ist mir bewusst, dass dies ein wenig banal klingt und so gar nicht "elitär" und "triumphalistisch". Es war und ist bis heute dennoch der Weg Jesu. Haben Sie viel Freude mit der Theologie! Sie werden in ihr eine neue Heimat in der Kirche finden, da bin ich sicher.