"Andere Menschen am Schatz teilhaben lassen"
Erschienen in: theologie aktuell | Ausgabe 2 - Jahrgang 2025/26

Wie lange lehren Sie schon bei den Theologischen Kursen?
Seit dem Wintersemester 2018, erst in Präsenz, dann auch online.
Welches Fach tragen Sie bei den Theologischen Kursen vor?
Spiritualität.
Was ist Ihnen im Theologischen Kurs in Ihrem Fach besonders wichtig?
Ich denke, gerade die Spiritualität ist ein Fach, in der man den Grundfragen des Lebens auf der Spur ist, und wo es um die Erfahrung des Menschen mit Gott geht. Die Themen werden daher sozusagen schnell „persönlich“, als sie mich herausfordern, die Frage nach meiner eigenen Haltung dazu zu beantworten. Die Studierenden einerseits dafür zu sensibilisieren, andererseits auch ihren Horizont zu erweitern von der Frage nach ihrer individuellen Glaubenserfahrung und -haltung, hin zu strukturellen, systemischen Fragen, das ist mir ein besonderes Anliegen. Die Lehrveranstaltung versucht einen Bogen zu schlagen, ausgehend von den Gotteserfahrungen biblischer Gestalten, über die Anfänge des Christentums, die Ordensgründer und religiösen Bewegungen, bis zu den Glaubenszeugen der Moderne, um daraus für das eigene geistliche Leben Einsichten zu gewinnen.
Haben Sie selbst beim Lehren im Theologischen Kurs auch neue Einsichten gewonnen?
Oh ja, ich schätze den Dialog mit den Studierenden sehr, die mir mit ihren Fragen einerseits ein Bild der gelebten Realität in der Kirche heute geben, andererseits mich auch herausfordern, über manche Dinge neu nachzudenken.
Welche Erfahrung bei den Theologischen Kursen haben Sie in besonders guter Erinnerung?
Das online-Unterrichten bringt mich als Vortragende natürlich mitten in das Leben der TeilnehmerInnen hinein, mitten in ihr Wohnzimmer, wo dann auch einmal das kleine Kind kuscheln kommt oder die Katze plötzlich im Bild ist. Eine andere muss zwischendurch in den Stall gehen und die Kühe melken. Man lebt dann plötzlich mehr mit den TeilnehmerInnen mit, und die Distanz ist oft kleiner, als das in einem Präsenzkurs der Fall ist.
Welche theologische Frage beschäftigt Sie zurzeit am intensivsten?
Meine Zeit in Jerusalem, wo ich vor dem Krieg zwei Jahre gelebt habe, und nun der Gaza Krieg, haben für mich die Frage nach Glauben und Gewalt bzw. Gewaltlosigkeit und nach der Legitimität von „Gewalt im Dienste des Guten“, bzw. auch die Frage nach der politischen Instrumentalisierung von Religion sehr virulent werden lassen. In meiner Dissertation über Christian de Chergé, den Prior von Tibhirine, der mit seinen Mitbrüdern 1996 in Algerien ermordet wurde, findet sich in dem Zusammenhang auch die Frage des christlichen Martyriums.
Von welcher/welchem Theologin/Theologen haben Sie am meisten gelernt?
Es ist schwer, hier nur einen zu nennen – es waren viele, die für mich wegweisend waren, an erster Stelle sicher Karl Rahner, dessen „Grundkurs des Glaubens“ eines der ersten theologischen Bücher war, das mir noch vor meinem Studium in die Hände fiel (und von dem ich damals nicht einmal die Hälfe verstand), dann Dietrich Bonhoeffer, und von meinen Lehrern waren es Otto Hermann Pesch, dessen ökumenische Weite in der Dogmatik mich prägte, und Prof. Langthaler, dessen Enthusiasmus mein philosophisches Unverständnis entschieden herausforderte. Mein Zugang zur Spiritualität wurde besonders von Menschen wie Frere Roger Schutz (Taizé), Richard Rohr, Timothy Radcliffe und Thomas Halik geprägt.
Ihre aufregendste Bibelstelle?
Jes 43: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich ausgelöst, / ich habe dich beim Namen gerufen, / du gehörst mir. …“
Welches Buch lesen Sie gerade?
Nach sechs Monaten in einem Zisterzienserinnen Kloster, und der entsprechenden Beschäftigung mit der monastischen Welt es Mittelalters, von Benedikt zu Bernhard von Clairvaux, wende ich mich jetzt wieder mehr dem modernen Monastizismus zu, und auf meinen Nachttisch liegt: „The Monk Within. Embracing a Sacred Way of Life“, von Beverly Lanzetta.
Welche Musik hören Sie gerne?
Ich höre gerne Klassik und Popmusik, je nach Lust und Laune. Ich gehe gerne in klassische Konzerte – hier bevorzugt 19. / Anfang 20. Jh. – aber ich höre in der Früh auch gerne Ö3, und meine Tochter hat mir eine Playlist zusammengestellt, die auch viel arabische zeitgenössische Musik enthält.
Was machen Sie am liebsten in Ihrer Freizeit?
Ich bin gerne in der Natur, joggen, wandern, im Sommer schwimmen, aber auch Kultur und Lesen gehören dazu.
Wo fühlen Sie sich kirchlich zu Hause?
Das ist eine schwierige Frage, wenn Sie nach einem konkreten Ort fragen. Ich würde sagen, Kirche ist für mich eine Utopie, ein Andersort. Ich bin gerne in verschiedenen Gemeinden, Gemeinschaften, Klöstern und Kirchen zu Gast, aber nirgends ausschließlich zu Hause. Um es mit Gregor dem Großen zu sagen: Kirchliche Heimat ist für mich „habitare secum“.
Mit wem würden Sie gerne einmal einen ganzen Tag verbringen?
Mit Maria Magdalena, Gefährtin Jesu, Zeugin, Frau in einer Männerwelt.
Welches Ziel wollen Sie noch erreichen?
Ich würde gerne die Schwelle niedriger machen, die heute Menschen hindert, nicht nur in die Kirche zu gehen, sondern sich konstruktiv mit Glaubensfragen zu beschäftigen. Ich denke daher über Angebote nach, wie man „Fernstehende“ besser erreichen kann mit dem, was mich selbst fasziniert und bereichert. Meine Dissertation trägt den Obertitel „Glaube als Teilhabe“ und ich denke, darum muss es der Theologie (und der Kirche) im Grunde gehen, andere Menschen teilhaben zu lassen an dem Schatz, den sie entbirgt.
Herzlichen Dank für Ihre Antworten!
Zur Person: DDr. Michaela-Theresa RICHTER, geb. 1964, hat zunächst Handelswissenschaften in Wien studiert. Neben ihrer Tätigkeit bei Diakonie Österreich und später beim Diakonie Flüchtlingsdienst studierte sie katholische Fachtheologie mit Schwerpunkt Fundamentaltheologie und Spiritualität (Promotion 2021) und war u. a. für die Forschungsplattform „Religion and Transformation in Contemporary Society (RaT)“ an der Universität Wien tätig. Zu ihren Forschungsinteressen gehören u. a. Mystiker*innen des Mittelalters, monastische Spiritualität (auch neue monastische Bewegungen) sowie der interreligiöse Dialog. Ihre Dissertation beschäftigt sich mit Christian de Chergé, Prior von Tibhirine (1937–1996), Algerien, und der Frage der Teilhabe, u. a. im Kontext des Dialogs mit dem Islam. Seit 2018 lehrt Michaela Richter bei den THEOLOGISCHEN KURSEN das Fach Spiritualität

