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    GOTT – MENSCH – GESELLSCHAFT: Kardinal König und das Konzil


    Von Prof. Walter KIRCHSCHLÄGER

    Vortrag von Prof. Walter Kirchschläger beim Festakt "75 Jahre Fernkurs" am 25. April 2025 in Salzburg.

     

    Prof. Walter Kirchschläger

     

    EINFÜHRENDE VORBEMERKUNG
     
    Anlässlich des Jubiläums der Theologischen Kurse im Jahr 1980 – 40 Jahre Wiener Kurs und 30 Jahre Fernkurs – gab die Gründerin und damalige Leiterin der Theologischen Kurse, Frau Dr. Margarete Schmid, ein Buch mit dem Titel „Heute gemeinsam glauben. Ein Glaubensseminar“ heraus. Darin hatten mehrere damalige Dozierende der Kurse versucht, in überschaubaren Einheiten Wesentliches zum christlichen Glaubensverständnis zusammenzuführen. Das Buch folgte dem Kursmodell „Wiener Glaubensseminar“, das seit 1975 entwickelt worden war. Ziel war das Bemühen „um ein tieferes Verstehen des christlichen Glaubens“ – wie „die Schmidin“ (so ihr interner Spitzname) im Vorwort ausführt. Jedes Wort im Titel des Buches ist Teil des Programms: Es geht darin um eine sachliche Darstellung des christlichen Glaubens mit einer Verwurzelung im Heute, also in der Welt und Kirche nach dem Konzil, und es geht um das den Kursen inhärente gemeinsame Bemühen darum. Durch mehrere Jahrzehnte bereits hatten theologische Fachpersonen die in Kursgruppen organisierten Glaubensweggemeinschaften im Bedenken und Vertiefen ihrer weltanschaulichen Überzeugung angeleitet und begleitet. Der eine oder die andere wechselten ihre Funktion in jenen Jahrzehnten: von der jüngeren dozierenden Fachperson zur Leitungsinstanz, welche die Institution der Kurse zu fördern verstand – einer von ihnen und massgeblich allen voran: der Priester, Religionsprofessor, Domkurat, Universitätsprofessor und Bischof Franz König.
     
    Es ist nicht einfach, „in dieser Stunde der Kirche“ , da uns alle angesichts des Heimgangs des Bischofs von Rom verschiedene Gedanken und Gefühle beschäftigen, zum Jubiläum des Fernkurses zu sprechen. Es wird allerdings erheblich dadurch erleichtert, dass sich in der Persönlichkeit von Franz König vielfältige Bezüge zwischen ihm, dem damaligen und dem letzten Bischof von Rom erkennen lassen, die Mut machen und die zur Überzeugung Anlass geben, dass zwischen diesen grossen Persönlichkeiten unserer Kirchengegenwart tiefgreifende Übereinstimmungen gegeben sind. Sie uns bewusst zu machen, kann dazu beitragen, als Christin und als Christ in der Welt von heute unserer Verantwortung als getaufte Menschen gerecht zu werden.
     
    Ich bedauere es sehr, dass ich Ihnen die folgenden Überlegungen nicht persönlich vortragen kann, sondern mit Hilfe der Kommunikationstechnik vermitteln muss – ein leider notwendiges Eingeständnis der unvermutet auftretenden Fragilität menschlichen Lebens im Alter.
    Meine Ausführungen beinhalten eine Hinführung zum Thema und zwei grössere Abschnitte.
     
    HINFÜHRUNG: EIN NEUES KIRCHENBILD
     
    In seinem ersten Hirtenbrief nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil befasste sich der damalige Erzbischof von Wien in der Fastenzeit 1966 mit der Bedeutung dieser Kirchenversammlung. Er blickte dabei auf ein Ereignis zurück, das er nicht nur miterlebt, sondern mitgestaltet hatte – was weder seit Beginn seiner priesterlichen Tätigkeit noch seines bischöflichen Dienstes in St. Pölten und dann in Wien nur in irgendeiner Form erahnbar gewesen war. Der Kardinal ging in seinem Hirtenbrief vom damals gängigen Kirchenbild aus und entwickelte die vom Konzil neu vorgedachte weit ausholende Perspektive:
     
    „Das Bild der Kirche, das viele bisher hatten, und die Einstellung zu ihr deckt sich nicht mehr ganz mit dem Kirchenbild, das durch das Konzil gezeichnet wird, entspricht nicht mehr ganz den Aufträgen, die uns allen die abgeschlossene Kirchenversammlung gibt. Unsere Vorfahren sahen die Kirche noch als die starke Festung, die sie gegen die angreifenden Gegner zu verteidigen und für die sie zu kämpfen hatten. [...], während wir heute eine Kirche vor uns haben, die sich selbst als Dienerin und Mutter der ganzen Menschheit verpflichtet weiss und die sowohl den innerkirchlichen Dialog ihrer Stunde wie den mit der Welt draussen anstrebt.“
     
    König ist geprägt von jenem Kirchenverständnis, das in den Konzilsjahren gewachsen war – grundgelegt von einem Bischof von Rom, der die Fenster der Kirche geöffnet haben wollte, um die Durchlässigkeit für die Geistkraft nicht zu behindern und um Kirche zugleich einladend und zugänglich zu machen, und zwar
     
    1 ZU ALLEN ZEITEN UND ZU ALLEN VÖLKERN
     
    Die Formulierung kann andeuten, welches Bewusstsein der Weite für ein sich weiter entwickelndes Kirchenbild prägend sein wird. Die Entwicklung ist gleichzusetzen mit einem
     
    1.1 Aufbruch aus der Burg auf dem Fels
     
    Denn aus dem „Haus voll Glorie“, das „auf ew‘gem Stein erbauet“ mit „starker Türme Wehr“ auf „festem Grund [...] ruht“ und so „den Sturm in wilder Wut“ „überdauern“ kann, ist „Gottes heil‘ge Stadt“ geworden, die „der Welt verkündet, was Gott gesprochen hat“, „erbauet auf Jesus Christ allein“ und von ihm als „wandernd Volk“ geleitet hin zu „sein[em] Haus“, das der Herr „am Ziel der Zeiten“ für dieses Volk „bereit“ hält – nicht als befestigte Burg, nach innen gekehrt und gegen aussen verschlossen. Jesus Christus als ihr Fundament und ihr Rückhalt „leite[t]“ ihren Weg durch die Zeit, da sie in der vorläufigen Erscheinungsform als „Gottes Zelt auf Erden lebt und so Zeugnis gibt von diesem Gott, der „den Menschen nah[e]“ ist.
     
    Das Kirchenlied „Ein Haus voll Glorie schauet“ hat in den 50er- und 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts an keinem festlichen Anlass, sei es Katholikentag, sei es Bekenntnistag der Katholischen Jugend gefehlt. In der Zeit nach dem Konzil wurden die Liedstrophen neu getextet, um dem veränderten Kirchenverständnis gerecht zu werden. In zahlreichen Veranstaltungen der Theologischen Kurse in der Zeit nach dieser Kirchenversammlung gehörte der Textvergleich der Liedstrophen zu den einführenden Schritten, um für die Teilnehmenden die grundlegende theologische Veränderung greifbar zu machen, die das Konzil angestossen hatte:
     
    Kirche wird nicht (mehr)als eine Gemeinschaft im Verteidigungsmodus gegenüber einer generell negativ beurteilten modernen Welt verstanden. Sie wird sich einer neuen Dynamik bewusst, die „bis an die Grenzen der Erde“ (Apg 1,8) reicht. Indem sie erneut zu „allen Völkern“ aufbricht, um Menschen zu Jüngerinnen und Jüngern zu machen, stellt sie sich dem Auftrag des Auferstandenen, wie er in der Schlussszene des MtEv zusammengefasst ist:
    „Gegeben ist mir alle Vollmacht im Himmel und auf der Erde.
     
    Indem ihr geht,
    macht alle Völker zu Jüngerinnen und Jüngern,
    indem ihr sie tauft auf den Namen des Vaters und des Sohnes und der heiligen Geistkraft,
    indem ihr sie lehrt, alles zu halten, was ich euch geboten habe.
    Und siehe: Ich bin mit euch alle Tage bis zur Vollendung der Weltzeit“ (Mt 28,18-20).
     
    Auf der Grundlage dieses Auftrags hat Johannes XXIII. am Weihnachtstag 1961 das Konzil einberufen. Es ist jener biblische Textabschnitt, der die gesamte Konzilsvorbereitung begleitet. Im Wortgottesdienst zur Eröffnung des Konzils wurde er als Evangelium verkündet.
     
    Hier ist also Bewegung angesagt. Der Ruf in die Jesusgemeinschaft mit der Folge der Taufe und die Unterweisung in den Vorgaben Jesu in Wort und Tat sind abhängig vom eigenen Aufbruch, zu dem der Auferstandene selbst ermächtigt – verbunden mit der Zusage seiner bleibenden Gegenwart. Jorge Mario Bergoglio hat wenige Tage vor seiner Wahl zum Bischof von Rom gut 60 Jahre später daran erinnert, dass dieser Weg vor den Rändern der Gesellschaft nicht Halt macht.
     
    1.2 Denn wir sprechen von einer Kirche mit Blick in die Welt
     
    Mit der Anspielung auf das „Haus voll Glorie“ im Kirchenlied hat der damalige Wiener Erzbischof einen markanten Orientierungspunkt dafür angesprochen, wie das Konzil „Kirche“ verstanden hat. Schon in der Phase der Konzilsvorbereitung hatte sich König in diese Richtung geäussert. Während der Beratungen über den Entwurf zu einem Dokument „Über die reine Bewahrung des Glaubensgutes“ (De deposito fidei pure custodiendo) stellte der Wiener Erzbischof an den Anfang seiner Wortmeldung eine Auslegeordnung, die er auf das gesamte Konzil bezogen haben wollte:
    „Das Ökumenische Konzil soll nicht nur nach innen (ad intra) sprechen,
    sondern auch nach aussen (ad extra).“
     
    König war überzeugt davon, dass die Welt „zwar kritisch, aber auch mit grosser Erwartung hören [werde], was die Kirche bei diesem feierlichen Anlass sagen wird.“ Der Wiener Erzbischof zog eine Linie zum bisherigen Verständnis des kirchlichen Auftrags, in dem die Verteidigung des Glaubens im Zentrum stand. Anders als in den für das Konzil vorliegenden Textentwürfen dürfe jedoch „der apologetische Zugang nicht zu sehr im Vordergrund stehen“. Deswegen müsse auch „nicht extensiv wiederholt werden, was das Erste Vaticanum gelehrt habe.“ Vielmehr solle das Konzil aufzeigen, „dass die geoffenbarten Wahrheiten [...] die Lösung aller Schwierigkeiten anbieten, welche die heutige Welt beschäftigen.“
     
    Die Frage nach einer Antwort auf die Fragen nach Herkunft, Ziel und Sinn des Lebens war bereits für den jungen König entscheidend gewesen. Anlässlich einer Betrachtung des Forum Romanum und dessen Trümmerreste kurz nach Ankunft zum Studium in Rom wurde ihm die Brüchigkeit menschlichen Bemühens bewusst, und er schlug endgültig ein Stipendium für ein Studium in London gegenüber der Möglichkeit des Bildungsweges an der Gregoriana in Rom aus. Die dreifache Frage „Woher komme ich, wohin gehe ich, welchen Sinn hat mein Leben?“ durchzieht sein ganzes Leben und sein seelsorgliches Wirken in der Überzeugung, dass „in der gesamten Christenheit die zu wenig beachteten Kräfte schlummern, solche Gegensätze und Spannungen zu lösen, die kein Philosoph, kein Techniker oder Soziologe auflösen kann“ – wie er bei einem Vortrag im Jänner 1961 festhält.
     
    König erwartet die Öffnung des Konzils hin auf die Welt, um einen Dialog zu führen, der auf fester Überzeugung und offener Aufmerksamkeit für das Denken anderer aufbaut. Deswegen fordert er auch in der Zentralkommission einen Hinweis auf die Sozialkomponente der Religion, ein Statement zur Würde und Freiheit des Menschen und zugleich zum Schutz seines (christlich-) religiösen Bekenntnisses sowie eine Beschäftigung mit Ideologien der Gegenwart und ihrem Religionsbezug.
     
    Wie sich zeigen wird, decken sie sich die von König gelegten Spuren vielfach mit dem Denken des damaligen Bischofs von Rom. Das Konzil wird sie in unterschiedlicher Weise aufgreifen, wenn es über eine kirchliche Wirklichkeit nachdenken wird, die „in der Welt von heute“ und in deren Vielfalt aktiv mitleben möchte.
     
    1.3 Die „Methode“ dazu hatte König bereits Jahre davor entwickelt: Gott suchen in Wahrheit und Liebe
     
    Für den Priester, Theologen und Bischof Franz König war eine weit ausholende Sichtweise von Kirche nicht neu. Schon in seiner Jugendzeit erahnt er die Verankerung der Gotteswirklichkeit in den Spuren der gesamten Menschheit. Während seines Studiums in Rom wächst die Überzeugung, dass sich diese Idee bereits in vor- und ausserbiblischen Zeugnissen verorten lässt, bevor sie sich in den verschiedenen Religionen Schritt für Schritt konkretisiert hat. König ist vom Thomas-Kommentar zur Metaphysik des Aristoteles fasziniert, in dem die auf Gott zustrebende Ordnung der Schöpfung reflektiert wird: Gott allein als „motor non motus. Das einzige Sein, das seine Kraft aus sich allein schöpft, ist Gott; er sei gebenedeit in alle Ewigkeit“ – so Thomas von Aquin. Im Rückblick darauf mit 75 Jahren ist König überzeugt: Diese „Realität Gottes“ zu suchen, die – so wörtlich – „in jedem von uns“ ist, bleibt die Aufgabe des eigenen Lebens.
     
    Der Weg für diese Gottsuche hat für König klare Konturen. Anlässlich seiner Weihe zum Bischof-Koadjutor von St. Pölten am 31. August 1952 bezieht er den von ihm gewählten Leitspruch veritatem facientes in caritate (Eph 4,15: „die Wahrheit in Liebe tun“) auf eine über die Zeiten bestehende Wahrheit:
    „Sie [Die Wahrheit] ist bruchstückartig schon vorhanden in den Religionen des grauen Altertums; sie leuchtet hell aus den Propheten und grossen Gestalten des Alten Bundes; sie strahlt als leuchtende Sonne in der Finsternis und in allen suchenden Menschenherzen seit jener weltgeschichtlichen Stunde, da das Wort Fleisch geworden …“
     
    Die gewählte Wendung aus dem Eph ist wegweisend für König: Der griechische Text ist dem Wortlaut nach so gut wie nicht übersetzbar. Die hier schreibende, nicht näher bekannte Person aus der Paulusschule richtet sich an die Kirche von Ephesus. Diese gründet auf der Gewissheit, dass Jesus Christus als auferstandener und erhöhter Herr das Fundament der Kirche ist. Trotz der Verschiedenheit der Dienste und Aufgaben bilden die Christinnen und Christen in diesem Leib eine Einheit. Sie haben zwar mit Jesus Christus als dem Haupt trotz der Launen der Welt, der Menschen und der Geschichte einen festen Referenzpunkt (so Eph 4,14), dennoch müssen sich alle zu jeder Zeit neu um Leben und Aufbau der Kirche als Leib bemühen: „Jede und jeder trägt mit der Kraft, die ihm oder ihr zugemessen ist“ (so Eph 4,16). Worin und wie dieses persönliche Bemühen vor sich geht, wird in ergänzenden Partizipialwendungen ausgedrückt und umschreibt so in modaler Weise, wie dieser Leib Christi wächst – wörtlich: „[Be]wahrheitend in Liebe wachsen wir auf ihn hin in allem: Er ist das Haupt, Christus“ (Eph 4,15).
     
    Mit der modalen Bestimmung „in Liebe“ ist ein Vorgang präzisiert, für den in der deutschen (und bereits in der lateinischen) Sprache kein Verbum zur Verfügung steht: aletheúo – „wahrheiten“ / „bewahrheiten“. Das bedeutet: „Wahrheit“ steht hier nicht als Objekt des Handelns, sondern im Vollzug. Der Versuch „die Wahrheit tun“ ist die tauglichste Übersetzungsvariante, auch wenn sie bereits die Dynamik des Handelns, das gänzlich von Wahrheit geprägt ist, etwas abschwächt. Anlässlich seines 90. Geburtstages (1995) beschäftigt sich Franz König erneut mit dem selbstgewählten Leitwort:
    „Die Wahrheit in Liebe tun, heisst, Respekt haben vor dem Worte Gottes, vor Christus, dem Gotteswort in Menschengestalt, heisst, es unverfälscht und ohne bequeme Anpassung zu akzeptieren; es heisst aber auch, Respekt haben vor den Menschen, an die eine solche, oft unbequeme Einladung ergeht; Respekt vor den Menschen, die sich frei und ohne Zwang dafür entscheiden wollen.“
     
    Der Anspruch einer respektvollen Liebe steht mehr und mehr im Vordergrund: einer Liebe, die auf Zustimmung hofft, diese aber eben aus Liebe frei gibt und jede entsprechende Entscheidung achtet. Dem ursprünglichen Textsinn seines Wahlspruchs ist der emeritierte Erzbischof von Wien darin ganz nahegekommen. Denn die in Eph 4,15 angemahnte Haltung macht die Übereinstimmung mit der Wahrhaftigkeit Gottes offenbar, und sie begünstigt so das umfassende Wachsen hin zu Christus als dem Haupt.
     
    Dieser Beitrag der Glaubenden zum Wachstum des Leibes ist unter eine uneingeschränkte Kondition gestellt. Er geschieht nicht um jeden Preis, sondern ist rückgebunden an eine Vorgangsweise in Liebe. Dies bedeutet: Er geschieht in Umsetzung der Erfahrung mit Jesus Christus, aus einer Grundhaltung der Orientierung an ihm. Ein Vorgehen in Liebe ist also entscheidend für das Gelingen dieser Verwirklichung von Wahrheit, also jedweden kirchlichen „Bewahrheitens“. Wird dieses Kriterium verletzt, bleibt das angestrebte Ziel unerreicht.
     
    In seinem bischöflichen Wahlspruch hat König den Kern der neutestamentlichen Botschaft und die Offenheit seiner Person miteinander verbunden und so ein biblisch fundiertes Kirchenprogramm formuliert. Die Kurzfassung des Wahlspruchs veritati in caritate (Der Wahrheit in Liebe) bringt die Bezogenheit der beiden Leitsubstantive auf den Punkt und benennt so die entscheidenden Werte: der Wahrheit verpflichtet, und dies in Liebe.
    Offenbar ist Bischof König mit dieser Sichtweise nicht allein. Im Rahmen der Konzilsvorbereitung nahm Johannes XXIII. in seiner Ansprache am Pfingstfest (5. Juni) 1960 Bezug auf den Text von Eph 4,14-15 mit den Leitbegriffen „verità e carità“, und er kommentierte: „Dies sind geheimnisvolle Worte des hl. Paulus, die es verdienten, über dem Portal des Ökumenischen Konzils verzeichnet zu sein.“ Das Konzil wird sich also mit diesen zentralen Referenzpunkten zu beschäftigen haben.
     
    1.4 Also: Ein Konzil
     
    Die von Johannes XXIII. mehrfach vorgelegte Begründung für die Einberufung dieser Kirchenversammlung ist für den Zugang dazu wegleitend. Denn für den damaligen Bischof von Rom stand am Beginn entsprechender Überlegungen nach seinen Angaben nicht eine Reform der Kirche im Vordergrund, sondern die Analyse der Weltsituation. In seiner ausführlichsten Darstellung dazu berichtet Johannes XXIII. im Mai 1962 den Glaubenden aus seinem früheren Bistum Venedig von einem Gespräch mit seinem Staatssekretär, Kardinal Domenico Tardini. In gemeinsamer Analyse sehen sie die Welt
     
    „versunken in schweren Engpässen und Bedrängnissen. Wir überlegten unter anderem, wie man den Willen zum Frieden proklamieren könnte und die Zustimmung dazu, aber insgesamt endete das mit dem Eindruck der unterschiedlichen und wachsenden Bedrohungen. Was sollte die Kirche tun? Muss das mystische Schiff Christi im Spiel der Fluten verbleiben und muss es hin- und hergerissen werden? Aber ist es nicht gerade dieses Schiff, das nicht nur eine neue Ermutigung initiiert, sondern auch das Licht eines grossartigen Vorbilds? Was könnte dieses Licht sein?“
     
    Diese Darstellung geht über die damals bereits etwas mehr als drei Jahre zurückliegende Ankündigung des Konzils am 25. Januar 1959 erheblich hinaus. In seiner Ansprache vor den Kardinälen in St. Paul vor den Mauern sprach Johannes XXIII. lediglich von einer „doppelten feierlichen Veranstaltung ...: einer Diözesansynode für Rom und einem allgemeinen Konzil für die Weltkirche.“ Beides verband der Bischof von Rom mit der Absicht eines aggiornamento des Kirchenrechts mit Blick auf eine kirchliche Lebensform, die – Zitat – „der Geist des Herrn uns entlang des Weges nahelegen wird.“ Die Notwendigkeit einer Reform bleibt dabei auf den innerkirchlichen Kontext bezogen. Da Johannes XXIII. auch bei anderer Gelegenheit auf das Gespräch mit Kardinal Tardini Bezug nimmt und der Gedanke einer notwendigen Öffnung der Kirche die Konzilsvorbereitung grundlegend mitbestimmt, ist der weiterentwickelten Sichtweise entsprechendes Gewicht zuzuordnen. Auch anlässlich der Einberufung der Kirchenversammlung am Weihnachtstag 1961 kommt Johannes XXIII. auf den beklagenswerten Zustand der Welt zu sprechen und folgert daraus: „Von der Kirche wird jetzt erwartet, dass sie den unvergänglichen, lebensfördernden, göttlichen Wert des Evangeliums in die Venen der menschlichen Gemeinschaft von heute injiziert. ...“ Zugleich fordert der Bischof von Rom unter Bezugnahme auf ein entsprechendes Jesuswort (in Mt 16,4) die Wahrnehmung und Beachtung der „Zeichen der Zeit“.
     
    1.5 Daraus folgt die Notwendigkeit für ein Gespräch mit der Welt
     
    Der Bischof von Rom verweist also auf die dringende Zuwendung zur Welt. Das Bild vom Schiff im Sturm erinnert an die Bannung des Sturms auf dem See (vgl. Mk 4,35-41 par) und die Selbstoffenbarung Jesu zu nächtlicher Stunde auf dem See (Joh 6,18-20).
     
    Das Konzil wird auf die aufgeworfene Frage nach dem Licht eine deutliche Antwort geben. Johannes XXIII. bereitet sie im Zuge der Vor-Phase des Konzils konsequent vor – am ausführlichsten in der genau einen Monat vor Konzilsbeginn gehaltenen Rundfunkansprache vom 11. September 1962. Darin entwickelt der Bischof von Rom das Anliegen des Konzils anhand dieses grundlegenden Bezugs zur „weise[n] Anwendung des evangelischen Lehramtes Christi, seit zwanzig Jahrhunderten das Licht der durch sein Blut erlösten Menschheit.“ In Anlehnung an die Proklamation „Lumen Christi“ und den antwortenden Dankruf der liturgischen Gemeinde „Deo gratias“ (also: Licht Christi – Dank sei Gott) in der Osternacht versteht der Bischof von Rom das Konzil als „die Fortsetzung oder besser die kraftvolle Erneuerung der Antwort der ganzen Welt, [der heutigen Welt] auf das Vermächtnis des Herrn“, auch in diesem Dokument zusammengefasst in den letzten Sätzen des MtEv (Mt 28,19-20). Um dafür bereit zu sein, muss sich die Kirche – so Johannes XXIII. – neu disponieren:
     
    Neben der notwendigen Erneuerung der „Lebenskraft nach innen (ad intra)“ für „vor allem ihre[...] Kinder[...]“ bedarf es einer Beschäftigung der Kirche mit ihren „Lebensäusserungen nach aussen (ad extra), in ihrem Bezug auf die Bedürfnisse und Nöte der Völker ...“ Darin „fühlt sie die Pflicht, durch ihre Lehrtätigkeit ihrer Verantwortung nachzukommen“, im Gebrauch der irdischen Güter „die ewigen nicht [zu] verlieren.“
     
    Darin erkennt der Bischof von Rom die „Verantwortung“ und Berufung der Christinnen und Christen: „... als Mensch unter Menschen zu leben, als Christ[in] unter Christ[innen], damit alle anderen, die es nicht sind, durch das gute Beispiel sich anregen lassen sollen, es zu werden.“ Deswegen liegt für ihn – wiederum mit Bezugnahme auf Mt 28,20 – darin „das Durchgangstor zu der so genannten äusseren, aber durch und durch apostolischen Tätigkeit der Kirche.“ Diese Ausrichtung der Kirche ist nicht mit Beliebigkeit verbunden, sondern Teil ihrer Christuspriorität: „Die Welt braucht in der Tat Christus. Und es ist die Kirche, die der Welt Christus bringen muss.
     
    Dieser Vorgang der Reflexion und Erneuerung wird in der Radioansprache erstmals von Johannes XXIII. in diese zwei Richtungen differenziert. Die verwendeten Termini werden den Vorarbeiten von Kardinal Léon-Joseph Suenens zugeschrieben. In den Akten des Konzils sind sie mit Bezug auf Suenens im März 1062 greifbar. Suenens forderte diesbezüglich zwei feierliche Erklärungen des Konzils ; König, der diese Differenzierung bereits zwei Monate früher verwendet hatte, stimmte in der Kommission den Ausführungen von Suenens bei seiner Stimmabgabe zum Entwurf ausdrücklich zu. Im Spätfrühjahr 1962 hat der Erzbischof von Brüssel-Mechelen noch weiter an diesem Entwurf zuhanden von Johannes XXIII. gearbeitet.
     
    In der Radioansprache von Johannes XXIII. war keine Rede von einem Urteil über die Welt oder von ihrer Verurteilung. „Licht“ als eine Leitmetapher der Ansprache ist uneingeschränkt positiv besetzt. Sie bietet Orientierung, Wegleitung, Hilfestellung an. Die Formulierung des angestrebten Zieles ist besonders zu beachten: „... zum Heil, zur Freude, zur Verherrlichung der Menschheit.“ So hatte bereits gut 1950 Jahre früher schon der Verfasser des JohEv über die Sendung des Sohnes in die Welt geschrieben: „... nicht damit er die Welt richte, sondern dass sie gerettet werde durch ihn (Joh 3,16-17). Auch der Bezug zur Umschreibung des logos als Licht im Johannesprolog (Joh 1,4-5a) darf nicht übersehen werden.
     
    In der Folge benennt Johannes XXIII. die sich daraus für das Konzil ergebenden Themenstellungen: die Beschäftigung mit den sozialen Fragen, mit Gerechtigkeit und Frieden – Problembereiche, die er selbst mit dem methodischen Schlüssel einer Analyse der „Zeichen der Zeit“ in seiner letzten Enzyklika Pacem in terris vom 11. April 1963 aufgreifen wird; schliesslich das Desiderat der Freiheit als Grundlage jeder menschlichen Kultur – ein Problemkreis, welcher das Konzil in mehrfacher Hinsicht beschäftigen wird.
     
    1.6 Gerade deswegen gilt: Im Zentrum – Jesus Christus
     
    Schon in seiner Eröffnungsansprache zum Konzil hebt Johannes XXIII. Jesus Christus als das Fundament kirchlichen Lebens und Denkens hervor:
    „Die grosse Herausforderung, vor die sich die Menschheit gestellt sieht, besteht auch nach fast 2000 Jahren unverändert weiter. In seiner Herrlichkeit macht Christus immer noch die Mitte der Geschichte und des Lebens aus.“
     
    Dabei geht es keineswegs um eine mindere Bewertung anderer religiöser Überzeugungen. Für Johannes XXIII. besteht die Herausforderung darin, den Menschen mit Bezug auf Jesus Christus und ausgelöst von ihm Antworten anzubieten auf die Fragen und die Sorgen des Lebens. Dabei ist die Freiheit des Menschen ebenso zu beachten wie das christozentrisch bestimmte Selbstverständnis von Kirche. Das Konzil wird um die Wege ringen, wie diese spannungsvolle Herausforderung in Zukunft zu bewältigen ist. In der Homilie zum Abschluss des Konklaves, in dem er mehr als 50 Jahre später zum Bischof von Rom gewählt worden war, erinnerte Bischof Franziskus die Kardinäle an diese unverzichtbare Mitte von Kirche:
     
    „Wir können gehen, wohin wir wollen, wir können vieles aufbauen,
    aber wenn wir nicht Jesus Christus bekennen, geht die Sache nicht:
    Wir werden eine wohltätige NGO, aber nicht die Kirche, die Braut Christi.“
     
    Der Eröffnungssatz der dann im Herbst 1964 (21. November) verabschiedeten Kirchenkonstitution kann als prägnante Kurzformel des Christus- und in der Folge des Kirchenverständnisses des Konzils verstanden werden:
     
    „Lumen gentium cum sit Christus ...“: „Weil Christus das Licht der Völker ist ...“
    Unter Rückgriff auf den biblischen Befund (siehe Jes 9,1 und vgl. dazu 9,5-6) ist Jesus Christus im Anschluss an Lk 2,32 mit dem Licht für die Völker identifiziert. Jedes Wort in dieser Wendung hat seine signalhafte Bedeutung. Der einleitende Nebensatz des Kirchendokuments ist nicht als These formuliert, sondern als eine alles weitere begründende Überzeugung. „Weil ...“ Darauf muss im Denken und Leben der Kirche stets zurückgegriffen werden: Das Licht ist mit Jesus Christus identifiziert. Dabei spielt die im Genetiv beigegebene Präzisierung die alles entscheidende Rolle: sein erhellender und damit wegweisender Charakter ist nicht auf die Kirche, sondern auf die ganze Welt, die Völker bezogen: „... der Völker“! Darin ist für alles Weitere der Urgrund zu sehen; darin ist die Kirche zum „allumfassenden Heilssakrament“ geworden (Lumen gentium Art. 48).
     
    Kirche wird sich fortan vor allem als Volk Gottes verstehen, das in dieser Welt, geführt von diesem Licht und mit ihm leuchtend, seinen Pilgerweg geht. Das gesamte Zweite Kapitel des Kirchendokuments Lumen gentium ist der Entfaltung dieser Idee gewidmet, die als letztes der zusammengestellten Bilder (Art. 6-8) ins Spiel gebracht worden war. Sie wird zunächst aufgrund ihrer Bezogenheit auf Jesus Christus als dem Haupt in ihrer sakramentalen Teilhabe vertieft (Art. 9 bis12), bevor sich mit Art. 13 der Blick mehrfach weitet: „Zum neuen Gottesvolk werden alle Menschen gerufen“ lautet der Eröffnungssatz dieses Abschnitts, und dieses Gottesvolk wohnt „in allen Völkern der Erde.“ Das „zu allen Völkern“ als Ziel des Sendungsauftrags des Auferstandenen (Mt 28,19) ist unübersehbar, und es bleibt deutlicher denn je verbunden mit dem biblischen Auftrag, dies „gehend“ zu tun – in der heutigen pastoralen Fachsprache könnte also von einem aufsuchenden Vorgehen gesprochen werden. Mit Bezugnahme auf dieses Bibelzitat unterstreicht König bei einem Vortrag im Mai 1964 die entsprechende Stoßrichtung kirchlichen Vorgehens:
     
    „Dieses Hingehen, auch dieses Nachlaufen, wenn man will, das ist es, was wir heute brauchen. Das und die Gabe, mit den Menschen über ihre Sorgen und ihre Sehnsüchte in ihrer Sprache zu reden.“
     
    Die Linien einer aufsuchenden, also nicht abwartenden, sondern nachgehenden Pastoral werden erkennbar. Wer immer die Möglichkeit hatte, bei Visitationen von Kardinal König in den Pfarren dabei zu sein, wird sein Plädoyer für die Sinnhaftigkeit von Hausbesuchen kaum vergessen haben. –
    Das Konzil wird die Offenheit und Weite, die im Grundsatzdokument zum Kirchenverständnis angedeutet ist, im Dekret über den in Ökumenismus und vor allem in der Erklärung zu den nichtchristlichen Religionen noch verdeutlichen, und die Kirchenversammlung wird in der Erklärung zur Religionsfreiheit noch einen weiteren konkretisierenden Schritt gehen.
     
    Mit diesen Bemerkungen ist im Rückblick angedeutet, wohin das Konzil steuert: Mit dieser Kirchenversammlung wird sich eine Öffnung der Kirche vollziehen. Die anhand der Konzilsgeschichtsschreibung nachvollziehbaren zahlreichen Bremsversuche kirchlicher Leitungsinstanzen vor, während und nach dem Konzil lesen sich wie ein Krimi, konnten aber weitgehend nicht die Oberhand gewinnen. Zurecht hat Bischof Franziskus kurz nach Antritt seines Dienstes als Bischof von Rom die mangelhafte Konzilsrezeption bedauert.
    Der Weg des Konzils ist noch nicht zu Ende. Seine fruchtbare Fortsetzung geschieht unter uneingeschränkter Wahrung der Christuspriorität in der kirchlichen Praxis und Verkündigung mit der gleichzeitigen, regelmässig überprüften Erarbeitung eines neuen Verhältnisses zur Welt, von der sich die Kirche nicht mehr – gleich einer Enklave mit Sonderstatus – wie eine Trutzburg abzuheben versucht. Mitten in diesem Prozess: Franz König.
     
    2. FRANZ KÖNIG UND DAS KONZIL
     
    Nur gut zwei Jahre vor dem Wechsel in der Leitung der Weltkirche wurde am 10. Mai 1956 der Bischof-Koadjutor von St. Pölten, Franz König, zum Erzbischof von Wien bestellt. König hat bekanntlich seine Ernennung für Wien zu verhindern versucht und hat dafür persönlich bei Pius XII. vorgesprochen. Dieser hörte König an und meinte, er könne beruhigt wieder heimfahren. In diesem Sinn berichtete König auch seinem Diözesanbischof Michael Memelauer und setzte die angesetzten Pfarrvisitationen fort ... – bis am 8. Mai 1956 der damalige Internuntius Erzbischof Johannes Dellepiane erneut in St. Pölten vorstellig wurde und ihm die Nachricht seiner Ernennung für Wien überreichte. Am gleichen Tag machte sich König mit seinem VW Käfer auf den Weg nach Wien, um dort Erzbischof-Koadjutor Franz Jachym aufzusuchen ...
    Johannes XXIII. hat König bei deren erster Begegnung am 6. November 1958 über seine bevorstehende Kreierung zum Kardinal informiert. Im ersten Konsistorium des neuen Pontifikats am 15. Dezember 1958 wurden 23 neue Purpurträger kreiert, als einer von 10 Nichtitalienern Franz König, Erzbischof von Wien.
     
    2.1 Eine neue Phase der Kirchengeschichte
     
    Diese Momentaufnahmen aus der jüngeren Kirchengeschichte stehen zueinander in einem inneren Zusammenhang. Franz König hat seinen bischöflichen Dienst zunächst in St. Pölten, dann in Wien in einer Kirchenepoche begonnen, die es wider Erwarten nach kurzer Zeit nicht mehr geben sollte. Mit der Wahl von Johannes XXIII. beginnt eine neue Phase in Glaubenspraxis und in Glaubensreflexion. Im Rückblick wissen wir, wie verschieden die Bischöfe als die betroffenen Hauptakteure damit umgingen: Die einen verweigerten sich aktiv und betrieben Opposition – teilweise bis zum heutigen Tag; die anderen zogen sich zurück; die dritten engagierten sich für den neuen Weg, der sich da für die Kirche abzeichnete.
     
    Zu dieser letztgenannten Gruppe gehörte Franz König. Schon als Domkurat in St. Pölten und Religionsprofessor in Krems ging er eher ungewohnte Wege und nahm zumindest in Ansätzen vorweg, was nur wenige Jahre später nach dem Willen des Konzils die Kirche verändern sollte. Dazu gehört nicht nur sein besonderes Interesse und die Hochschätzung anderer Religionen, anhand derer nach seiner Einschätzung „die eigenen Überzeugungen“ „tiefer werden“ können. Das gilt auch für die Art seines Religionsunterrichts, von dem es heißt, er „war völlig unorthodox. Da gab es weder einen ‚Großen‘ noch einen ‚Kleinen‘ Katechismus, aber durchaus die Bibel“. Diese stand auch damals bereits im Zentrum seiner Homilien: „Nicht bloße Paraphrasen des Bibeltextes. In seinen Homilien stellte er von einem Psalm, einem Jesuswort oder einer anderen Bibelstelle ausgehend, immer auch einen existentiellen Bezug her.“
     
    König war überzeugt von der grundsätzlichen Bedeutung der Religion für den Menschen, die „zu seinem innersten Wesen“ gehört. Um deren Kenntnis kultur- und völkerübergreifend zu vertiefen und eine Grundlage für einen Austausch über Religionsgrenzen zu ermöglichen, publizierte er 1951 das dreibändige Werk „Christus und die Religionen der Erde“. König setzt darin die verschiedenen Religionen in Beziehung zum Christentum, um dieses „auf dem Boden der Religionsgeschichte ... in seiner Eigenart viel deutlicher zu erfassen.“ Nach seinem Verständnis setzt ein sinnvolles interreligiöses Gespräch die fundierte Kenntnis der eigenen Überzeugung ebenso voraus wie die Achtung vor der Glaubenswelt des Gegenübers. Der damalige Bischof-Koadjutor von St. Pölten war sich auch bewusst, dass mit einem fundierten Zugang zu anderen Religionen das Gespräch über die Stellung des Christentums vertieft werde – ja: dass dadurch zu einer neuen Fokussierung auf das eigene Bekenntnis herausgefordert wurde. Auch in diesem Sinne war es unerlässlich, dass sich eine kommende Kirchenversammlung diesem Diskurs stellen musste.
     
    2.2 Ein Konzil nach innen und nach außen
     
    Als Mitglied der zu Pfingsten 1960 (5. Juni 1960) eingerichteten Zentralkommission war der Wiener Erzbischof wesentlich an den Konzilsvorbereitungen beteiligt. Im Rückblick bekennt König, dass er über die Konzilsinitiative von Johannes XXIII. „fast bestürzt“ war und sich ein Konzil „nicht konkret vorstellen konnte“. Unter den relativ wenigen Antworten, die Johannes XXIII. auf die durch den Kardinalstaatssekretär vorgenommene Zustellung der päpstlichen Konzilsankündigung vom 25. Jänner 1959 erhält, fehlt denn auch eine Reaktion aus Wien.
     
    König beurteilte diese Vorbereitungszeit sehr kritisch, insbesondere aufgrund der leicht erkennbaren Bremsmanöver der römischen Kurie. Trotzdem bleibt der Kardinal auch während dieser Vorbereitungszeit vorsichtig optimistisch. „Dass es [das Konzil] eine große Enttäuschung werden könnte, kann und will ich nicht glauben“ betonte der Kardinal in einem Vortrag vor der AG katholischer Journalisten am 30. Jänner 1961in Wien unter Anspielung auf eine Aussage von Hans Küng. König war der Überzeugung, dass bereits die verschiedenen durch die Ankündigung des Konzils ausgelösten Vorgänge „allein schon ein großer Erfolg“ wären, selbst wenn die Kirchenversammlung nicht offiziell abgehalten werden könnte. Im Rückblick vermerkt König eine wichtige Grundhaltung des Bischofs von Rom: „Johannes XXIII. ließ geschehen‘, ohne einzugreifen oder die Leitung an sich zu ziehen.“
     
    Offensichtlich verstand es Johannes XXIII. in erster Linie als seine Aufgabe, das Konzil zu ermöglichen. Wohin die Kirchenversammlung steuern würde, sollte dem Wirken von Gottes Geistkraft überlassen bleiben. Deshalb verstand er das Konzil auch als ein grundlegend geistiges Ereignis, verbunden mit der Hoffnung auf ein darin geschehendes „neues Pfingsten“.
    Diese Überzeugung und der damit verbundene zurückhaltende Einsatz regulierender Entscheidungen war auch dem Wiener Erzbischof nicht fremd – wie seine bedachtsame Leitungstätigkeit in der Wiener Erzdiözese zeigen kann. Auch König ließ andere gewähren. Die Auslegeordnung für seine Tätigkeit findet sich im Rat des Gamaliel, den der Kardinal auf dem Gedenkbild zu seinem Goldenen Bischofsjubiläum (31. August 2002) abdrucken ließ:
     
    „Wenn dieses Vorhaben oder dieses Werk von Menschen stammt, wird es zerstört werden; stammt es aber von Gott, so könnt ihr es nicht vernichten; sonst werdet ihr noch als Kämpfer gegen Gott dastehen“ (Apg 5,38-39).
     
    Zwar nicht in der literarischen Form, aber in der Aussage erinnert das an den von Johannes XXIII. überlieferten Ausspruch: „Giovanni, nimm dich nicht so wichtig, du bist ja nur Papst.“
     
    Von einer gewissen, vermutlich wachsenden Kongenialität mit dem Bischof von Rom kann also begründet ausgegangen werden – was ja auch an der Entwicklung eines sehr persönlichen Verhältnisses in den wenigen Jahren bis zum Tod von Johannes XXIII. erkennbar ist.
     
    2.3 Neue Wege des Glaubensverständnisses: König und Rahner
     
    In seiner Eröffnungsansprache zum Konzil wird Johannes XXIII. Aufgabe und Anliegen des Konzils skizzieren: Es gehe bei der Kirchenversammlung nicht um die Formulierung neuer Glaubenssätze oder eine Diskussion derselben. Sondern es geht darum, das Glaubensgut der Kirche „mit den sprachlichen Ausdrucksformen des modernen Denkens“ darzulegen... Denn eines ist die Substanz der tradierten Lehre [...]; etwas anderes ist die Formulierung, in der sie dargelegt wird. Darauf ist [...] grosses Gewicht zu legen, indem alles im Rahmen und mit den Mitteln eines Lehramtes von vorrangig pastoralem Charakter geprüft wird.“
     
    Auch für König darf Glauben nicht nur von religiöser Emotionalität geleitet bleiben. Der Glaube muss sich vor dem Intellekt bewähren, oder anders gesagt: Wissenschaftliche Theologie und persönliche Frömmigkeit stehen nicht zueinander im Streit, sondern müssen einander ergänzen und stärken. Deswegen ist es für König selbstverständlich, dass die Kirche zwischen veränderlichen und unveränderlichen Inhalten unterscheiden kann (und muss!) und dass diese Trennungslinie auch von vernunftgeprägten Argumenten, nicht von religiöser Sentimentalität bestimmt ist, die oftmals sehr nahe zu intellektueller Bequemlichkeit reicht. Ebenso unverzichtbar ist es für den Kardinal, dass das Konzil theologische Inhalte in der Sprache von heute vermitteln muss. Hand in Hand damit muss die theologische Bildung der Menschen vertieft und gefördert werden.
     
    Das Anliegen ist für den ehemaligen Religionsprofessor und Fachtheologen König nicht neu. Gerade bei diesem festlichen Anlass muss daran erinnert werden, dass er bereits in den Gründungsjahren des Wiener Theologischen Kurses von Margarete Schmid zur Mitarbeit eingeladen worden war und in diesem Umfeld mit Karl Rahner zusammenarbeitete. Es ist gut vorstellbar, dass diese beiden theologisch versierten Personen miteinander gut ins Gespräch kommen konnten. Für König wird es zu einem seiner zentralen Anliegen, die Arbeiten für das Konzil „auf das Niveau des gegenwärtigen theologischen Denkens innerhalb der Kirche gebracht werden.“
     
    Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass Kardinal König im Oktober 1961 Karl Rahner dazu bewegen konnte, als sein Konzilstheologe mit nach Rom zu kommen: Der Weg dahin war nicht ohne Schwierigkeiten. Da standen nicht nur die früheren Auseinandersetzungen Rahners mit dem Heiligen Offizium im Raum, nachdem dieses 1951 seiner Mariologie das Nihil obstat verweigert hatte. Wegweisend und nachvollziehbar ist die Reaktion Rahners gegenüber dem Generalassistenten der Gesellschaft Jesu auf diesen markanten Eingriff in seine theologische Arbeit:
     
    „Wenn man nichts schreibt oder nur die altgebahnten Wege wandelt, dann hat man es leicht und bequem. Ob man als kirchlicher Theologe dann seine Pflicht getan hat, ist eine andere Frage, auch wenn man dann das Sanctum Officium nicht zu fürchten hat.“
     
    König selbst hat erzählt, dass er Herzklopfen hatte, als der Sekretär des Heiligen Offiziums, Kardinal Ottaviani, ihm gemeinsam mit Rahner das erste Mal begegnete. Rahners Urteil über die seitens der Kurie und kurialer Theologen vorbereiteten Entwürfe war tatsächlich vernichtend. Da heisst es z. B., die Texte lassen „die doch ganz gewiss intensive Arbeit der Zentralkommission so gut wie umsonst erscheinen.“ Oder es ist die Rede davon, dass die Ausführungen zum Offenbarungsverständnis „von einer wirklich beklagenswerten philosophischen Erbärmlichkeit sind. Eine solche Wald- und Wiesenphilosophie darf ein Konzil nicht vortragen.“
     
    Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Gravierender dafür ist jedoch der Hintergrund, den Rahner gegenüber König ebenfalls ansprach: Es geht um einen Paradigmenwechsel in der Theologie, der sich schon früher angekündigt hatte, aber vielfach dadurch verzögert wurde, dass die Vertreter der Neuscholastik, unter denen die späteren Bischöfe studiert hatten, nach wie vor einflussreich tätig waren. Das gilt vor allem, aber nicht nur für die römischen Fakultäten und für die Kurie. Der Vorwurf, diesen Schritt in ein neues theologisches Denken zu verweigern, richtet Rahner vor allem gegen die damals zahlreichen Theologieprofessoren, die das Konzil als Episode einstufen wollten, das wohl wieder vorüberging. Gegenüber König spricht er in einer Gesamtbeurteilung der für die erste Sitzungsperiode des Konzils vorbereiteten Entwürfe von
     
    „Professoren, die sich weigern, die Glaubensnot der Menschen von heute zu teilen; … von Menschen, die sich nicht beunruhigen lassen durch die Fragen der heutigen Bibeltheologie, der heutigen Philosophie … gute, brave, anständige, fromme Professoren (Eminenz, Sie kennen sie von Rom her): bieder, fromm, für sich persönlich bescheiden, von einer Mentalität, die meint, Gott einen Dienst zu erweisen, wenn sie diese innere Unbedrohtheit und diesen Geist des Ghettos als die wahre Klarheit des katholischen Glaubens verteidigt.“
     
    Es ging also um mehr als um einzelne theologische Positionen. Auf dem Spiel stand ein theologischer Paradigmenwechsel, der für König wie für Rahner unerlässlich schien. Dazu gehörte angesichts des von Johannes XXIII. proklamierten „Lehramts von vorrangig pastoralem Charakter“ vor allem auch das sprachliche Gefäß einer neu gedachten Theologie. Rahner habe ihm erzählt – so König im Rückblick, „dass er bei Heidegger nicht zuletzt gelernt hätte, dass es nicht nur darauf ankomme, was man sagt, sondern vor allem auch, wie man es sage.“
     
    König war kein Vielredner, seine Interventionen auf dem Konzil waren jeweils gezielt und erhielten oftmals durch die explizite Zustimmung der nachfolgenden Redner zusätzliches Gewicht. Schon von seinen Fähigkeiten und seiner Person war er auch in früheren Jahren ja einer gewesen, der aus den üblichen Wegen hinaus neue Schritte wagte. Seine intensive Beziehung zur Bibel, sein Studium am Biblicum, jedoch an dessen Orientalischer Fakultät mit der Öffnung zu anderen Religionen, sein Versuch, die theologische Wissenschaft mit seinem pastoralen Engagement zu verknüpfen, lassen seine Kreativität und seine Offenheit für Neues erkennen. Das Konzil wird diese intellektuelle theologische Plattform weiten und die damit möglichen Perspektiven verwirklichen. So wächst ein Verständnis von kirchlichem Denken und Handeln, das bis in unsere Zeit als massgebend gelten kann. Im Rückblick ist es berechtigt, die Verbindung dieser beiden Persönlichkeiten als eine geistgewirkte Fügung zum Gelingen des Konzils zu verstehen.
     
    2.4 Das führt zu entsprechenden Weichenstellungen für das Konzil
     
    Die Wortmeldungen des Kardinals in der Zentralkommission lassen die Schwerpunkte erkennen, mit denen er sich im Blick auf das Konzil befassen sollte. Wegleitend dabei ist seine Absicht, „die aktuellen Probleme des christlichen Lebens und der zeitgenössischen Welt zu diskutieren“ – so einer der Kommentare des 80-jährigen Kardinals im Rückblick auf diese Zeit.
    Deswegen monierte er auch mehrfach, dass Detailfragen nicht auf ein Konzil gehörten, sondern regional zu entscheiden wären. Zugleich legte er großen Wert auf die Sprache, in denen die Textentwürfe formuliert waren: Sie sollten für die Menschen heute (und nicht nur für theologische Fachpersonen) verständlich sein und auch dem heutigen Zugang zu religiösen Fragen entsprechend Raum geben. So drängte König z. B. darauf, dass das Eheverständnis nicht von den Ehezwecken her zu erläutern sei, sondern die Darlegung auf der Bekräftigung der Menschenwürde aufbauen müsse. Oder er kritisierte Formulierungen einer traditionellen Frömmigkeitssprache – z. B. im Blick auf die Beteiligung der Menschen am Gottesdienst: „Des öfteren findet sich in dem Entwurf die Formulierung ‚der Messe beiwohnen‘… In unserer Zeit klingt es besser, wie es in früheren Entwürfen … heißt und so gesagt werden soll: Alle Gläubigen nehmen in aktiver Teilhabe (actuosa participatione) am eucharistischen Opfer teil.“ König hält im Textentwurf über die Missionstätigkeit die Wendung „nichtkatholische Sekten“ (sectae acatholici) für verletzend und will sie ersetzt wissen. Auch die Bezeichnung von nichtkatholischen Getauften im Entwurf des Dokuments über die Kirche sollte wegen ihres diskriminierenden Tons modifiziert werden, und er findet es nicht nur aus ökumenischen Gründen unpassend, dass ein Textenturf zur Mariologie auf eine Erörterung des päpstlichen Primats hinausläuft.“ Im Übrigen war es ihm generell ein Anliegen, dass die Konzilstexte für Laien verständlich seien, „zu denen das Konzil heute sprechen muss.“
     
    König griff grundlegende Fragen zum Kirchenverständnis auf. Insbesondere wünschte er eine vertiefte Umschreibung des Bischofsamtes in seinem Verhältnis zum Bischof von Rom wie auch zu den anderen Bischöfen. Damit führt er ein Anliegen weiter, das bei der Themennennung für das Konzil seitens der Wiener Kirchenprovinz vom 9. November 1959 an erster Stelle stand. Im Text des Glaubensbekenntnisses, das den Konzilsvätern vorgelegt werden sollte, wollte er auch die Kollegialität der Bischöfe untereinander berücksichtigt wissen.
     
    Dass es auch damit nicht getan ist, konnten wir an der mehrjährigen Synode zur Synodalität miterleben: Trotz entsprechender Vorarbeit der Internationalen Theologenkommission und anderer ist es nicht gelungen, die Quadratur von hierarchischer Struktur und synodalem Miteinander vollständig zu bewältigen. Zwar wird in der Studie der Theologenkommission festgehalten, dass das „Konzept der Synodalität ... breiter [ist] als jenes der Kollegialität“, aber ungeklärt bleibt, warum die Bischöfe untereinander „Kollegialität“ ausüben sollen, während das „ganze Gottesvolk“ in „Synodalität“ verbunden ist. Bis weit über seine Emeritierung hinaus setzte sich Kardinal König für mehr Kollegialität und gegen den zunehmenden Zentralismus in der Kirche ein. Die Erwartung einer stärkeren Praxis der Subsidiarität zwischen den Ortskirchen und der römischen Kirchenleitung beschäftigte ihn aus der Zeit der Konzilsvorbereitung bis ins hohe Alter. Unter Hinweis auf Pius XII. erinnerte er mehrfach daran, dass die hierarchische Struktur der Kirche die Anwendung dieses Prinzips der katholischen Soziallehre nicht ausschließe.
     
    2.5 Kirche als Volk Gottes auf biblischem Fundament
     
    König beharrte konsequent auf einer soliden Auslegung des biblischen Zeugnisses. Notfalls wollte er eine direkte Konsultation von Bibelwissenschaftlern herbeiführen. Besonders im Blick auf das Offenbarungsverständnis und die damit verbundene Wahrheitsfrage wehrte er sich gegen den damals gängigen fundamentalistischen Zugang hinsichtlich der so genannten „Irrtumslosigkeit“ der Schrift. Er hatte massive Vorbehalte gegenüber einer Überinterpretation biblischer Texte und schlug bereits bei der ersten Behandlung eines Entwurfs zu diesem Thema in der Zentralkommission (11. November 1961) eine klare Positionierung vor: „Die Kirche hat die Heilige Schrift immer mit höchster Ehrfurcht geachtet und achtet sie [als solche], und sie gebraucht sie als hauptsächliche Quelle (tamquam fonte principali utitur).“ Der Zugang zum Thema Offenbarung und deren Wahrheitsgehalt hat das Konzil während seiner gesamten Dauer beschäftigt. Diese Fragestellung kann als Musterbeispiel für ein schon angesprochenes tiefgreifenderes und grundsätzliches Problem gelten: Es geht dabei letztendlich um die Frage nach dem Charakter der Theologie dieser Kirchenversammlung.
     
    Das Engagement von Kardinal König in biblischen Fragen und seine Sachkenntnis (als Absolvent des Päpstlichen Bibelinstituts) führen konsequenterweise dazu, dass er von 1969 bis 1978 als erster Präsident der Katholischen Weltbibelföderation vorstand, die auf der Grundlage des Offenbarungsdokuments Dei verbum (Art. 22) nach Vorarbeiten durch Kardinal Bea im Auftrag von Paul VI. gegründet worden war.
     
    Zugleich wehrte sich König gegen eine vereinnahmende Deutung der Heiligen Schrift. So opponierte er z. B. im Entwurf zur Kirchenkonstitution gegen den Versuch, das von Paulus entwickelte Bild vom Leib Christi zur Begründung des hierarchisch gedachten Zueinanders von Klerus und Laien heranzuziehen. König war überzeugt davon, dass die so genannten „Laien“ [und Laiinnen] stärker in das kirchliche Leben zu integrieren und mit Verantwortung auszustatten waren. Schon in seiner Themeneingabe zum Konzil vermied er die Bezeichnung „Laien“, er sprach mit anderen Bischöfen von den fideles. Mit Kardinal Döpfner (damals noch Berlin, dann München) verwehrt er sich gegen eine negative Definition: „Der Laie soll in der Kirche in Bezug auf den Klerus nicht aufgrund eines Defektes beschrieben werden, sondern eher auf der Grundlage seiner Beschaffenheit und Berufung als getaufter und gefirmter Christ.“ In seinem posthum veröffentlichten Rückblick auf das Konzil als „Höhepunkt meines Lebens“ konnte König auf die Fortschritte in dieser Frage hinweisen: „Der dritte, wichtige Durchbruch, der in meinen Augen von besonderer Bedeutung für die Zukunft der Kirche war, war die Betonung der wichtigen Rolle der Laien in der Kirche“ – so Kardinal König in einem Rückblick auf die „vier [sic] wirklich wegbereitende[n], kreative[n] und bleibende[n] Impulse des Konzils. Bereits unmittelbar nach dem Konzil, in einer im Jänner 1966 angestellten „Bilanz des Konzils“ urteilt er in dieser Frag ähnlich und zugleich prophetisch-realistisch:
     
    „Das Konzil hat viel über das Laienapostolat, das heisst über die Stellung des Laien in der Kirche gesprochen. Es wird noch viel zu tun sein, bis alle darin niedergelegten Möglichkeiten im Leben der Kirche zur Entfaltung und zur Auswirkung kommen.“
     
    Wie zutreffend diese Einschätzung ist, kann eine Zwischenbilanz Jahrzehnte nach dem Konzil belegen. König hatte schon im Vorfeld des Konzils zusammen mit den Kardinälen Bernard Jan Alfrink (Utrecht) und Julius Döpfner die Nicht-Zulassung von „Laien“ zum Konzil kritisiert. Auch im Bereich der Integration von nicht ordinierten Glaubenden in das Leben der Kirche hat König viel ausgelöst – sowohl in der Weltkirche wie auch in der Erzdiözese Wien. Die Wiener Diözesansynode kann als Beleg dafür gelten , ebenso sein Leitungsstil in der Erzdiözese, der ein „Lehramt von vornehmlich pastoralem Charakter“ spiegelt – wie es Johannes XXIII. im Konzil verwirklicht sehen wollte. Der Wiener Erzbischof bevorzugte zwar klare Konturen, aber er war nie ein unbeugsamer Hardliner. Dem Wirken Gottes Raum zu geben: im eigenen Leben und im Leben der Kirche – das war das Leitprinzip von Kardinal König, getreu dem schon zitierten Rat des Gamaliel aus Apg 5 und in Übereinstimmung mit der Grundhaltung, die Johannes XXIII. vorlebte. König widersetzte sich daher in den 70er-Jahren dem Wunsch der Glaubenskongregation unter der Führung von Kardinal Franjo Seper, gegen Adolf Holl und sein Jesusbuch vorzugehen oder die Praxis des Kommunionempfangs in der Pfarre Machstrasse zu unterbinden. Im letzten Fall setzte er sich durch; im ersteren schritt er erst ein, als Seper drohte, das Verfahren gegen Holl nach Rom zu ziehen.
     
    In einer weltweiten Kirche hatte König das Prinzip einer Einheit in Vielfalt vor Augen. Noch drei Jahrzehnte nach dem Konzil engagierte sich der Kardinal für Jacques Depuis, den die Glaubenskongregation wegen seiner unorthodox erscheinenden Positionierung des Christentums im Kontext der Religionen (Towards a Christian Theology of Religious Pluralism) im Visier hatte. Für König war es evident, dass die alles entscheidende Frage „Wer ist Jesus Christus“ in den verschiedenen Kulturen und in einer global werdenden Kirche differenziert und mehrstimmig beantwortet werden musste, zugleich aber auf der Grundlage des Konzils das Verhältnis zu anderen Religionen neu und weniger apodiktisch zu ordnen war. Dabei stand im Rückblick auf sein Leben der Notenschlüssel dafür bereits sehr früh fest: „Für mich war das Studium vergleichender Religionswissenschaften ein zweiter Weg zu Christus geworden.“ Einem Dialog von oben herab konnte er nichts abgewinnen, denn „ein Dialog soll nicht aus apologetischen Gründen entstehen, sondern aus Liebe. Dies wird unmöglich, wenn man gleich zu Beginn des Gesprächs behauptet, die Bestrebungen und religiösen Werte der eigenen geistigen Welt seien allen anderen überlegen.“ Dass er in späten Jahren mit der Erklärung Dominus Jesus (vom 6. August 2000) keine Freude hatte, ist ein offenes Geheimnis. Denn Respekt und gegenseitige Achtung verträgt keine abgrenzenden Bewertungen. Aber sie setzt Sachkenntnis voraus, die sich der Kardinal in verschiedenen Zusammenhängen anmaßte.
     
    Im Rückblick auf sein Leben tadelte er deshalb auf der Grundlage christologischer Überlegungen das Zögern und die Unbeweglichkeit der Kirchenleitung nach dem Konzil bei der Einleitung von Reformen, um die Glaubensgemeinschaft im Heute der Welt zu platzieren:
     
    „Allein Christus als das Mensch gewordene Gotteswort ändert sich nicht. Das gibt der Kirche Sicherheit im Wandel der Zeiten. Aus diesem Grund ist auch menschliche Angst in der obersten Kirchenführung vor einer zu großen kirchlichen Vielfalt nicht angebracht.“
     
    An diesem Punkt setzt sein kontinuierliches Plädoyer für eine zeitgemäße und vertiefte theologische Bildung an, die er als unverzichtbare Grundlage für ein Christsein heute ansieht.
     
    „Die sachliche Diskussion [...] zeigte, dass die vorgetragenen Forschungsergebnisse zwar noch vielen Katholiken infolge ihrer oft verengten theologischen Bildung fremd sind, aber in der Fachwelt heute fast allgemein anerkannt werden und ganz auf der Linie der wichtigsten Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils liegen.“
     
    Dass der Wiener Erzbischof die Tätigkeit der Theologischen Kurse durch die Jahrzehnte wohlwollend begleitet hat, liegt ganz auf dieser Linie, die durch seine Lebenserfahrung und seine Biographie vorgegeben ist.
     
    Im Zuge des eingangs angesprochenen Jubiläums der Kurse zu Beginn der 1980er-Jahre gab Margarete Schmid als zweites Buch die Dokumentation zu einem damals neu entwickelten Aufbaukurs heraus. Es trug den Titel: Nochmals glauben lernen. Sinn und Chancen des Alters. Schon damit ist auf die unverzichtbare Notwendigkeit verwiesen, im Laufe des Lebens den religiösen Bildungsprozess lebendig zu halten, wollen wir nicht den untauglichen Versuch unternehmen, mit einem Glauben in Kinderschuhen auf die Überfülle des Lebens zuzugehen.
     
    Dafür setzte Kardinal Franz König in seinem Engagement für die Kirche auf dem Konzil, in Welt und Gesellschaft markante Orientierungspunkte für ein Christsein heute:
     
    König war es ein lebenslanges Anliegen, ausgehend von der Sinnfrage unseres Lebens
    (Woher komme ich? Wohin gehe ich? Welchen Sinn hat mein Leben?)
     
    - mit wachem Auge die heutige Lebenswirklichkeit als Zeichen der Zeit wahrzunehmen,
    - dabei für Gott und offen für alle Menschen zu sein,
    - die Wahrheit in Liebe zu tun und dabei Gottes Geistkraft wirken zu lassen,
    - im respektvollen und fundierten Dialog voneinander zu lernen,
    - Gräben aufzufüllen und keine Mauern zu bauen
    - und menschlich zu handeln,
     
    weil die Botschaft Jesu Christi, des menschgewordenen und auferstandenen Sohnes, diesen und keinen anderen Weg für ein Christsein in der Welt von heute vorgibt.
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