Katholiken

Ex-Ordensfrau: Machtverteilung in Kirche aufbrechen

Die Theologin und ehemalige Ordensfrau Doris Reisinger, Autorin des Buches „Spiritueller Missbrauch in der katholischen Kirche“, hat erneut für eine viel breitere Machtverteilung innerhalb der Kirche plädiert.

„Je gerechter Macht in der Kirche verteilt ist, zwischen Männern und Frauen, Alten und Jungen, Klerikern und Laien, Menschen verschiedener Herkünfte und Hautfarben, desto weniger wird Macht missbraucht“, so Reisinger.

Aktuell liege die Macht „praktisch ausschließlich in der Hand einiger weniger weißer männlicher Kleriker über 60, die vom Rest der Kirche nicht gewählt oder kontrolliert werden“, so Reisinger in der Wiener Kirchenzeitung „Der Sonntag“: „Da ist Machtmissbrauch praktisch vorprogrammiert.“

„Machtmissbrauch vorprogrammiert“

Jeder Missbrauch sei „im Kern ein Sich-über-den-anderen-Hinwegsetzen“, erklärte die deutsche Theologin (damals: Doris Wagner, Anm.), die vor zwei Jahren als Gegenüber von Kardinal Christoph Schönborn in einem TV-Gespräch im Bayerischen Rundfunk auch in Österreich bekannt wurde. Reisinger schreib auch zwei Bücher zum Thema – mehr dazu in Buch: Der Kardinal und die Ex-Ordensfrau.

Kardinal Schönborn im Gespräch mit Doris Reisinger (Wagner)
ORF/BR
Gespräch mit Kardinal Schönborn im Bayerischen Rundfunk

Gerade Frauen müssten in der katholischen Kirche oft erleben: „Was du denkst, fühlst und willst, zählt hier nicht.“ Der Fokus liege auf Mutterschaft und Verfügbarkeit, dagegen kämen Frauen kaum vor, „die in der Kirche führen, forschen, lehren, predigen, Sakramente spenden oder regieren wollen“, auch nicht solche, die in dieser Kirche unter Männern litten, kritisierte Reisinger.

Stichwort geistlicher Missbrauch

In dem „Sonntag“-Interview erläuterte die promovierte Philosophin und in Frankfurt lehrende Theologin, verschiedene Spielarten von geistlichem Missbrauch. Dieser liege immer dann vor, wenn Menschen für sich in Anspruch nähmen, Gottes Willen genau zu kennen und ihn im Leben anderer durchzusetzen. „Das steht aber niemandem zu.“

Missbrauch beginne mit subtiler Manipulation, bei der eine Person gar nicht bemerkt, wie sie allmählich vom geistlichen Führer abhängig wird. Die Umgestaltung deren Lebens gelange dann manchmal bis zu dem Punkt, an dem die Betroffene dann auch „spiritualisierte Gewalt“ über sich ergehen lässt – mehr dazu in Geistlicher Missbrauch: Priester und ihre Macht.

Reisinger selbst erlebte in ihrer damaligen ordensähnlichen Gemeinschaft „Das Werk“ Briefzensur, Lese -und Redeverbot bis hin zu sexuellen Übergriffen. Kennzeichen sind nach ihren Worten, Beziehungen nach außen aufgeben, Medikamente absetzen, körperliche Übergriffe zulassen.

Zu wenige Anlaufstellen

Reisinger bedauerte, dass es aktuell noch kaum Orte in der Kirche gebe, an die sich Opfer geistlichen Missbrauchs wenden können. Betroffene würden z.B. von Missbrauchsbeauftragte weggeschickt mit der Auskunft, für geistlichen Missbrauch seien sie nicht zuständig. Oder ein Bischof sage dasselbe in Bezug auf eine Gruppe, die päpstlichen Rechts ist.

„Dazu kommt, dass es im Moment noch sehr wenig Wissen und Verständnis für geistlichen Missbrauch gibt“, so Reisinger. „Betroffene bekommen zu hören, das wären alles nur Missverständnisse und sie hätten sich doch wehren können oder sollten jetzt nach vorne schauen.“

Für Trennung von Leitung und Seelsorge

Die konsequente Trennung von äußerer Leitung und Seelsorge ist laut Reisinger eine notwendige Maßnahme, um zu verhindern, dass Menschen sich jemandem geistlich anvertrauen müssen, der auch in anderen Bereichen Macht über sie hat. In Priesterseminaren gelte das schon durch die Aufgabenverteilung von Regens und Spiritual, in anderen Bereichen gebe es diesbezüglich noch Nachholbedarf.

Wichtig sei auch die freie Wahl des Beichtvaters und der geistlichen Begleitung in allen Bereichen der Seelsorge: „Einzelpersonen, Pfarreien, Verbände und Bistümer sollten mitentscheiden dürfen, wer bei ihnen Seelsorge übernimmt und ausübt.“ Und schließlich urgierte die Theologin kirchenrechtliche Vorkehrungen: „Wo es geistlichen Missbrauch gegeben hat, muss dieser aufgeklärt und sanktioniert werden.“

Am 12. Mai spricht Doris Reisinger bei einer Onlineveranstaltung der „Theologischen Kurse“ zum Thema „Spiritueller Missbrauch“. Weitere Fachleute sind Josef Anton Aigner vom Pastoralamt der Erzdiözese Wien sowie Sabine Ruppert von der Stabsstelle für Missbrauch- und Gewaltprävention der Erzdiözese Wien.